Koordinieren und profitieren
Beschaffungsaufgaben sind komplex. Sie erfordern fachliches Know-How sowie fundierte Kenntnisse des Marktes und der rechtlichen Grundlagen. Beschaffungsgemeinschaften oder -plattformen können die einzelnen Auftraggeber entlasten und gleichzeitig eine professionelle, nachhaltige und rechtskonforme Beschaffung gewährleisten.
Gemeinden in der Schweiz beschaffen jährlich Güter und Dienstleistungen im Umfang von rund 15 Milliarden Franken. Diese Marktmacht könnte ein Hebel sein, um die Förderung von innovativen, umwelt- und sozialgerechten Produkten entscheidend voranzutreiben. Doch Beschaffungsaufgaben sind komplex. Sie sind zudem oft auf die verschiedenen Verwaltungsabteilungen aufgeteilt und für die Verantwortlichen lediglich eine Aufgabe unter vielen. In der Regel bleibt nur wenig Kapazität, um sich das entsprechende Know-How und die nötige Marktkenntnis für eine nachhaltige und rechtskonforme Beschaffung anzueignen.
Der Weg, der aus diesem Dilemma führen und die Beschaffung professionalisieren kann, heisst Zusammenarbeit und Koordination. Das zeigen die Erfahrungen verschiedener Städte und Gemeinden.
Sich austauschen und unterstützen
So zum Beispiel die Erfahrungen der Gemeinde Mels SG mit ihren rund 8500 Einwohnerinnen und Einwohnern. Der Einkauf von Reinigungsmitteln und -geräten für Verwaltungsgebäude, Schulhäuser, Kindergärten, das Hallenbad und das Altersheim war über lange Zeit den jeweiligen Hauswarten überlassen. «Zum einen konnte das durchaus dazu führen, dass derselbe Lieferant innert weniger Tage gleich mehrfach in der Gemeinde vorfuhr», so Liegenschaftenverwalter Roger Ackermann. «Zum anderen war es schier unmöglich, eine Übersicht über die eingesetzten Produkte zu gewinnen». Er holte die Beteiligten an einen Tisch. In einem ersten Schritt listeten sie alle eingesetzten Produkte auf und recherchierten die verfügbaren Informationen dazu. In einem zweiten Schritt bereinigten sie diese Liste auf Basis der effektiven Bedürfnisse und des Beschaffungsleitbildes der Energiestadt Mels auf effiziente Geräte und auf Produkte, die weitgehend Rücksicht auf Umwelt und Gesundheit nehmen. Seither koordinieren die Hauswarte ihre Bestellungen in monatlichen Austauschtreffen und nutzen Geräte, die nicht im Dauereinsatz stehen, im Pool. Sie beobachten gemeinsam den Markt, testen Neues und tauschen ihre Erfahrungen aus. Die Transportkosten sind geschrumpft, die Mengenrabatte gestiegen, und das Know-How wächst kontinuierlich.
Unerlässliche Marktkenntnisse
Weiter geht die Stadt Zürich. Mit dem Beschaffungsleitbild hat der Stadtrat die Verwaltung bereits vor zehn Jahren beauftragt, nachhaltig zu beschaffen. Das Gesundheits- und Umweltdepartement (GUD) setzt diese Vorgaben koordiniert um und schreibt unter anderem die Beschaffung von Lebensmitteln für Alters- und Pflegezentren, Kinderbetreuungs- und soziale Einrichtungen sowie Spitäler gemeinsam aus. Da diese den Schwellenwert von 250'000 Franken überschreiten, kommt die offene Ausschreibung zum Zug.
Neben der Einhaltung der rechtlichen Vorgaben gemäss Submissionsverordnung, der städtischen Beschaffungsrichtlinien und der Vorgaben des GUD betreffend Anteil an Bioprodukten werden für den Zuschlag weitere Kriterien berücksichtigt. Dazu zählen beispielsweise ökologische und soziale Mehrleistungen oder die Optimierung von Logistik, Transport und Verpackungen. Für die konkrete Ausgestaltung der Submissionsunterlagen stellen sich laut Elisabeth Rohner, Leiterin Koordinierte Beschaffung beim GUD, aber noch weitere Fragen: Gibt es ausreichend Lieferanten, die die Vorgaben erfüllen können? Gibt es Einflüsse wie beispielsweise eine Rohstoffverknappung oder neue Produkte, die zu berücksichtigen sind? Sind die verlangten Produkte in der nötigen Menge verfügbar? Gute Kenntnisse des Marktes sind deshalb unerlässlich.
Die Ergebnisse der koordinierten Beschaffung von Lebensmitteln lassen sich sehen: Der Anteil an Bio-Produkten konnte stetig erhöht werden und erreicht heute rund sieben Prozent. Die Lieferanten entwickeln sich weiter, setzen auf Produkte mit ökologischem und sozialem Mehrwert, investieren in das Recycling der Verpackungen und optimieren in Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber den Bestell- und Lieferrhythmus. Über die bestellte Menge und über Optimierungen in der Logistik lassen sich zudem Kosten sparen. «Koordinierte nachhaltige Beschaffung ist möglich und wirkt sich in vielerlei Hinsicht positiv aus», ist Elisabeth Rohner überzeugt. «Sie ist aber ein kontinuierlicher Prozess, der die Mitwirkung aller Beteiligten erfordert.»
Gemeinsam beschaffen und die Hälfte bezahlen
Auch wer heute IT-Hardware beschaffen muss, ist nicht zu beneiden: Seitenweise technische Spezifikationen müssen sicherstellen, dass sich der neue Computer in die bestehende IT-Infrastruktur integrieren lässt, dem neusten Stand der Technik entspricht, die Bedürfnisse der Benutzer erfüllt und nicht zuletzt auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt.
Um diese Herausforderung zu bewältigen, haben sich in der Romandie verschiedene Gemeinden, Kantone, öffentliche Institutionen und deren Rechenzentren im Partenariat des Achats Informatiques Romands (PAIR) zusammengeschlossen. PAIR verfolgt als Verein das Ziel, den Bedarf im IT-Bereich zu sammeln und koordiniert auszuschreiben. Die enge Zusammenarbeit im Beschaffungnetzwerk PAIR zwischen Experten aus den Bereichen IT-Technik, Anbietermarkt und Nachhaltigkeit erleichtert die Formulierung der Ausschreibungskriterien. Mit dem grossen Beschaffungsvolumen kann PAIR vorteilhafte Konditionen für die einzelnen Mitglieder aushandeln. Je nach Produkt und Menge machen die Kosteneinsparungen bis zu 50 Prozent aus.
PAIR nutzt ausserdem seinen Einfluss als grosse Einkaufsorganisation, um das Thema Nachhaltigkeit bei den IT-Herstellern voranzutreiben. Während früher eine Selbstdeklaration zur Einhaltung von gewissen sozialen und ökologischen Aspekten genügte, müssen die Anbieter heute spezifische Fragen zu ihrer Produktionskette beantworten und vor allem im ökologischen Bereich Labels liefern oder belegen, dass ihre Produkte dieselben Kriterien erfüllen.
Vorarlberg macht’s vor
Gemeinsam geht’s besser. Das hat sich vor mehr als 15 Jahren auch der Umweltverband Vorarlberg gesagt und den Öko-Beschaffungs-Service ÖBS ins Leben gerufen. Heute nutzen sämtliche 96 Vorarlberger Gemeinden und zahlreiche weitere öffentliche Institutionen den Service auf freiwilliger Basis. Sie kaufen über den ÖBS Papier, Hygienepapier, EDV-Hardware, Fahrradüberdachungen, interaktive Boards, Bürostühle, LED-Strassenbeleuchtung und viele weitere Standardprodukte ein. Jedes Jahr kommen, abgestimmt auf die Bedürfnisse der öffentlichen Auftraggeber, neue Produktkategorien hinzu – aktuell beispielsweise Elektromobile. Für jede Produktkategorie berät eine Expertengruppe den ÖBS bezüglich der technischen Kriterien, während sich die Mitarbeiter des ÖBS auf die ökologischen und sozialen Kriterien und das Abwickeln des Ausschreibungsverfahrens konzentrieren. Die Gemeinden profitieren dank grosser Beschaffungsvolumen von Kosteneinsparungen von durchschnittlich rund einem Viertel und können den Zeitaufwand für ihre Beschaffungsprozesse halbieren. Entgegen zahlreichen Befürchtungen stärkt die koordinierte Beschaffung die ansässigen Unternehmen und fördert die regionale Wertschöpfung. Rund 80 Prozent der Auftragnehmer des ÖBS stammen aus Vorarlberg. «Ein zentraler Beschaffungsservice schafft eine Win-Win-Situation für alle», ist ÖBS-Leiter Dietmar Lenz überzeugt. «Wenn die nachhaltige Beschaffung auch ökonomischer und einfacher ist als die konventionelle, ist der Weg für eine flächendeckende Umsetzung frei.»
Die Chancen nutzen
Die Beispiele zeigen, dass Zusammenarbeit und Koordination bei der Beschaffung die Professionalität steigert, den Zeitaufwand mindert und die Kosten senkt. Dank der grossen Auftragsvolumen können die Auftraggeber bei den Anbietern Innovationen zum Schutz der Umwelt und für faire Arbeitsbedingungen fördern. Immer mehr Gemeinden sind deshalb an einer Zusammenarbeit bei der Durchführung von Submissionen interessiert. So beschaffen beispielsweise auch die Mitglieder des Luzerner Gemeindeverbandes ihre IT-Hardware gemeinsam und im Kanton St. Gallen ist eine solche Plattform im Aufbau.
Die laufende Revision des Beschaffungsrechts, die die nachhaltige Beschaffung weiter stärken und eine Harmonisierung der kantonalen und kommunalen Erlasse erwirken will, dürfte diese Tendenz unterstützen. Unterstützung erhalten Gemeinden auch bei der Stiftung Pusch: Sie hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit interessierten Kommunen einen Beschaffungsservice nach dem Vorbild des ÖBS aufzubauen. Sie sucht deshalb interessierte Gemeinden, die sich an einem Pilotprojekt beteiligen. «Das Potenzial ist enorm», ist Karin Schweiter, zuständige Projektleiterin bei Pusch, überzeugt. «Diese Chancen gilt es zu nutzen.»
